12 Tipps fürs Reeperbahn Festival

Ab Mittwoch herrscht in Hamburg wieder vier Tage lang der musikalische Ausnahmezustand. Das Reeperbahn Festival ist mittlerweile eines der größten Events für Indierock- und Indiepopfans überhaupt und hat sich darüber hinaus auch zu einem der wichtigsten Branchentreffs der deutschen Musikszene entwickelt. Bei weit mehr als 400 verschiedenen Künstler*innen und Bands, die in über 90 unterschiedlichen Spielorten aufwarten, fällt die Auswahl nicht immer ganz leicht. Ganz zu schweigen von den vielen Lesungen, Filmaufführungen, Kunstausstellungen und Diskussionsveranstaltungen, die das Programm erweitern. Wie in jedem Jahr habe ich ein paar meiner persönlichen Favoriten zusammengetragen, die vor allem natürlich auch zum musikalischen Schwerpunkt meiner Radiosendung passen sollen. Fünf der unten stehenden Künstlerinnen hab ich auch für Interviews angefragt, also watch this space oder folgt mir in den üblichen sozialen Netzwerken. Wir sehen uns in Hamburg.

CULK

Das österreichische Quartett CULK besticht auf seinem gleichnamigen Debütalbum durch düster-treibenden Indierock. Experimentelle Sounds treffen auf Elemente aus Dream Pop, Shoegaze, Darkwave und Noise. Im Sog der stets vorwärts drängenden und mitreißenden Musik steht Sängerin Sophie Löw, die ihre Geschichten vom chaotischen menschlichen Miteinander teils auf deutsch, teils auf englisch erzählt. Das aktuelle Album ist im Februar auf dem österreichischen Label Siluh Records erschienen. Produziert und aufgenommen hat es Jakob Herber, Schlagzeuger der österreichischen Band Flut, die ich im letzten Jahr hier schon mal vorgestellt hatte.

Mittwoch, 18.09. 21:45h Molotow / Skybar

Tusks

Die Londoner Sängerin und Produzentin Emily Underhill hat mit „Avalanche“ im Juni ihr zweites Album unter dem Namen Tusks vorgelegt. Das ist an sich schon eine beachtliche Leistung, weil sie nach einem Unfall im letzten Jahr fürchten musste, nie wieder Gitarre spielen zu können. Eine düstere Prognose für eine Künstlerin, die ihre Songs zumeist allein an Piano oder Gitarre komponiert. Underhill hat das als Herausforderung angenommen und ihren Sound auf dem neuen Album um eine verhallt-elektronische Wall Of Sound erweitert. Mittlerweile ist sie zurück an der Gitarre und kann ihre Musik zwischen New Wave, Dream Pop und Folktronica zu unserem Glück auch wieder live präsentieren.

Freitag, 20.09. 20:10h Terrace Hill

Carlos Cipa

Der Münchener Komponist und Pianist Carlos Cipa hat jetzt sein langes erwartetest drittes Album veröffentlicht. Wie viele moderne Komponisten sind bei ihm neben klassischer Musik auch Pop, Jazz, elektronische Musik und Filmmusik als Einflüsse hörbar. Nachdem er sich in den letzten fünf Jahren vor allem der Musik für Film, TV, Tanz und Theater zugewandt hat, gibt es auf „Retronyms“ nun endlich auch wieder neue und freie Eigenkompositionen zu hören. Zum Teil streng durchkomponiert, zum Teil aber auch während der Aufnahmesessions mit den anderen Musikerinnen im Studio improvisiert. Minimalistische Pianostrukturen geben sich hier mit opulenten Soundlandschaften zwischen Jazz und Klassik die Klinke in die Hand. „Retronyms“ ist am 23.08. auf Warner Classics erschienen.

Donnerstag, 19.09. 21:20h St. Pauli-Kirche

Rebecca Lou

Das dänische Punkrock-Trio Rebecca Lou mischt New Wave und Postpunk der 80er mit Indierock und Riot Grrrl-Sounds der 90er. Auf dem ersten Album „Bleed“ schaffen sie damit einen melodische-rockigen Gesamtsound, der live mutmaßlich noch um einiges an Fahrt gewinnen dürfte. Die Gruppe um Sängerin Rebecca L. Armstrong hatte schon im letzten Jahr mit „Skeleton“ eine erste EP vorgelegt, jetzt folgte am 30.08. das erste Album auf dem Label We Are Suburban. Das gelbe Vinyl der Erstauflage ist auf 250 Stück limitiert.

Samstag, 21.09. 17:00h Viva Con Agua Hangout Stage

Samstag, 21.09. 21:15h Indra

5K HD

2017 habe ich bei mir in der Sendung schon mit „And To In A“ das Debütalbum des Quintetts aus Österreich vorgestellt. Und bei ihrem Auftritt beim Watt En Schlick Fest im selben Jahr durfte ich auch erleben, wie sie ihre Songs live erweitern, verändern und sich ausdehnen lassen. Das neue Album kommt an der Oberfläche mit deutlich fokussierteren Elektro-Indiepopsongs daher, deren Tiefe und Facettenreichtum sich dann oft erst beim mehrmaligen Hören Schicht für Schicht erschließt. Ich freue mich wahnsinnig auf die Liveumsetzung der neuen Tracks. Sängerin Mira Lu Kovacs hat erst im letzten Jahr mit ihrer „anderen“ Band Schmieds Puls ein neues Album vorgelegt. Auch das ist sehr zu empfehlen. Die neue Platte von 5K HD heißt „High Performer“ und ist am 6. September auf fiveK Records erschienen.

Donnerstag, 19.09. 19:50h Indra

Freitag. 20.09. 15:00h N-joy Reeperbus

Aziza Brahim

Die algerische Musikerin Aziza Brahim gehört seit einigen Jahren zu den international gefragtesten Künstlerinnen des Global Pop. Geboren in einem nordafrikanischen Flüchtlingslager und aufgewachsen im spanischen Exil spielen ihre persönlichen Erfahrungen in ihren Songs genau so eine Rolle, wie die traditionelle Musik der Sahrawi, die zu tausenden aus ihrer Heimat der Westsahara vertrieben wurden. Für das neue Album hat sie eng mit der mexikanischen Musikerin Ampara Sanchéz zusammengearbeitet, die sie im Vorfeld der Aufnahmen bei der Produktion und der erstmaligen Nutzung von elektronischen Sounds unterstützt hat. Sanchéz hat zuvor schon unter anderem mit Calexico zusammengearbeitet und so mischen sich auf Brahims neuen Album die nordafrikanischen Wüstensounds mit mexikanisch-amerikanischen Americana-Elementen auf eine unwiderstehlich wehmütige Art und Weise. „Sahari“ von Aziza Brahim erscheint am 15. November auf Glitterbeat.

Donnerstag, 19.09. 22:40h Nochtspeicher

ATZUR

ATZUR ist eine neues minimalistisch-elektronisches Popduo aus Österreich. Auf ihrer neuen und ersten EP „Flesh And Bones“ sind vier Stücke von treibender und fast schon cineastischer Eindringlichkeit zu finden. Die spanische Pianistin und Sängerin Patricia und der österreichisch-iranische Pianist Paul leben und arbeiten in Wien. Für das Video zum Song „Death Of The Sun“ führte Manuel Hauer von der Band Flut Regie. Produziert hat die EP Tobias Kobl von den großartigen At Pavillon. Indiepop, Dream Pop und Kammerpop aus Wien. „Flesh Blood And Bones“ ist am 7. Juni auf Seayou Records erschienen.

Freitag, 20.09. 19:25h Spielbude

Johannes Motschmann

Der Berliner Komponist Johannes Motschmann war 2016 schon mit seinem Trio beim Reeperbahn Festival zu sehen. Sein Auftritt im direkten Anschluss an ein Konzert von Sven Helbig gehört für mich gerade in dieser Kombination zu den denkwürdigsten Abenden, die ich bisher im Resonanzraum St.Pauli gesehen habe, wo seit einigen Jahren die Konzerte zwischen Klassik und Elektronik stattfinden, die mit dem Label Neoklassik etwas widersprüchlich benannt sind. Jetzt hat Motschmann mit „Lifestream“ den Nachfolger zu „Electric Fields“ vorgelegt. Konsequent setzte er hier seinen musikalischen Brückenschlag von Bach, Erik Satie, Karl-Heinz Stockhausen zu westdeutscher Elektronik und Krautrock im Stil von Harmonia oder Tangerine Dream fort. Wieder mit dabei sind Perkussionist David Panzl und der Tonmeister, Diplom-Ingenieur, Keyboarder und Violinist Boris Bolles. Lifestream (mit f) steht dabei für den Fluß des Lebens, aber auch als „Livestream“ bei den Livekonzerten des Trios, dessen handgemachte, organisch-elektronische Musik auch in den neuen Tracks einfangen wird. „Lifestream“ ist am 9. August auf dem Label Neue Meister herausgekommen.

Freitag, 20.09. 20:30h Resonanzraum

Camilla Sparksss

Brutal“ heißt das zweite Soloalbum der Schweizer Musikerin und Sängerin Barbara Lehnhoff aka Camilla Sparksss, die außerdem auch noch ein Teil des fantastischen Indie- und Dream Pop-Duos Peter Kernel ist. Deren letztes Album „The Size Of The Night“ habe ich ja ebenfalls schon schon in meiner Sendung vorgestellt. Die schweizerisch-kanadische Sängerin und Filmemacherin hat Peter Kernel 2006 gemeinsam mit Aris Bassetti aus dem Tessin gegründet und macht seit 2014 auch solo Musik. Insgesamt gibt es auf „Brutal“ deutlich mehr Elektronik, Noise und Synthiepop als bei ihrem dreampoppig-postpunkigem Hauptduo. Konzipiert, geschrieben und komponiert hat sie „Brutal“ wie alle Platten zuvor gemeinsam mit ihrem partner in crime Aris. Das Album ist am 5. April auf ihrem eigenen Label On The Camper Records erschienen.

Samstag, 21.09. 00:10h Häkken (Klubhaus St. Pauli.)

Lisa Morgenstern

Die Berliner Komponistin, Sängerin und Pianistin ist mit ihrem zweiten Album „Chameleon“ schon seit einigen Monaten auf Tour und hat im Sommer unter anderem auch schon beim Watt En Schlick Fest in Dangast gespielt (das ist übrigens nominiert für den Helga Festival Award). Einsamer Höhepunkt ihrer Konzertreise dürfte aber das Reeperbahn Festival werden, bei dem sie zum „Aufwärmen“ zunächst im Resonanzraum St. Pauli spielt, um danach ein letztes Konzert in der Elbphilharmonie zu absolvieren. Genau der richtige Platz für ihre minimalistisch-fließenden Pianostücke, die durchaus an den großen Lubomyr Melnyk erinnern. Dazu kommen aber noch andere Elemente wie elektronische Sounds aus Ambient und kosmischer Musik und eine einzigartige Stimme, die im Zusammenspiel zwischen Klavier und Streichern sogar Assoziationen an Tori Amos, Kate Bush oder gar Nina Simone wecken. Die Tochter zweier Orchestermusiker mit bulgarischen und deutschen Wurzeln arbeitet in Berlin auch eng mit dem renommierten Frauenchor Bulgarian Voices Berlin zusammen. Für ihr eigenes Album hat sie sich mit dem argentinischen Cellisten Sebastian Plano zusammengetan, der die Aufnahmen auch produziert hat. „Chameleon“ von Lisa Morgenstern ist am 26. April erschienen.

Donnerstag, 19.09. 23:00h Resonanzraum

Samstag, 21.09. 0:00h Elbphilharmonie

Suzan Köcher’s Suprafon

Die Solinger Sängerin und Songschreiberin Suzan Köcher hat mich vor zwei Jahren mit ihrem Debüt „Moon Bordeaux“ schon schwer beeindruckt. Darauf war eine Mischung aus flower-powerigen Sixties-Beats, Folk, düsterem Chansonpop und leicht psychedelischen Anklängen zu finden. Für ihr neues Album „Suprafon“ hat sie jetzt wirklich alle Leinen über Bord geworfen und mit einer neuen Band ihren musikalischen Kosmos um Psychedelic Rock, Americana, Shoegaze, Krautrock und sogar Spuren von Postrock erweitert. Konsequenterweise ist sie damit auch nicht mehr als Solokünstlerin unterwegs, sondern als vollwertige Band mit dem Namen „Suzan Köcher’s Suprafon“. Die Singles „Peaky Blinders“ und „Poiseonous Ivy“ haben diesen neuen Sound bereits vorgestellt, aber erst das Album mit Tracks von über 7 bzw. 12 Minuten Längen erschließt uns endgültig die ganze Welt des Suprafons. Die Platte erscheint am 8. November.

Donnerstag, 19.09. 21:00h Kaiserkeller

Freitag, 20.09. 18:00h Spielbudenplatz

Freitag, 20.09. 19:30h LTUR

Robot Koch

Der in Kassel geborene Komponist, DJ und Produzent Robert Koch gehört seit über 20 Jahren zu den international erfolgreichsten deutschen Elektronikern. Während seine eigene Kompositionen zumeist den Techno- und Elektrofans ins Ohr und in die Beine gehen, sind seine Produktionen deutschlandweit in den Playlisten, Kinderzimmern und Indiediscos zu hören. Schließlich hat er Alben von Marteria/Marsimoto, OK Kid oder Casper mit auf den Weg gebracht. Für seine eigenen Arbeiten hat er sich in den letzten Jahren auch zunehmend der Verbindung von elektronischer und klassischer Musik zugewandt. Wichtigste Partnerin für den mittlerweile in Los Angeles lebenden Robot Koch ist dabei die australische Komponistin und Violinistin Savannah Jo Lack, die auch schon bei seinem letzten Album „Sphere“ mit an Bord war. Besonderes Augenmerk im wahrsten Sinne des Wortes lag (und liegt) bei den Liveumsetzungen, die mit 3D-Visuals und 360 Grad Leinwänden (Stichwort: Planetarium) zu einem umfassenden audiovisuellen Erlebnis werden. Jetzt erscheint mit „Otherwhere“ eine neue EP von Robot Koch und Savannah Jo Lack, die sie beim Reeperbahn Festival gemeinsam mit einem Streichquartett auf die Bühne des Resonanzraums bringen werden (auf Neue Meister).

Freitag, 20.09. 22:50h Resonanzraum