This Much I Know To Be True – Berlinale Special
(Foto: © Bad Seed Ltd.)
Weil vieles anders geregelt werden musste, als in Vor-Corona-Zeiten, war die 72. Berlinale ein besonderes Festival. Immerhin fand sie statt, und die Menschen waren wieder gemeinsam im Kino. Obendrein ließen sich selbst aus der internationalen Welt des Films einige Gäste blicken. So viel Glück hatten andere Künstler:innen in den letzten zwei Jahren nicht unbedingt: Der australische Sänger Nick Cave beispielsweise musste die große Welttournee mit seiner Band The Bad Seeds bereits mehrfach verschieben. Um sich die Zeit in der Pandemie zu vertreiben, lernte er das Handwerk des Keramikers und malte Motive seiner Hauptthemen wie Rache, Liebe, Verdammnis und Erlösung, die sein Schaffen prägen, im eigenen Hobbykeller auf kleine und zerbrechliche Kunstwerke.
(Radiobeitrag für Filmriss – Das Berlinalemagazin)
Mit derartigen Szenen beginnt der Dokumentarfilm „This Much I Know To Be True“ des ebenfalls aus Australien stammenden Regisseurs Andrew Dominik. Weil aber niemand zwei Stunden lang einem Rockstar beim Töpfern zusehen möchte, werden wir sehr schnell in einen leeren Konzertsaal geführt, in dem Nick Cave für den großen Teil der Filmdauer Songs von seinen beiden aktuellen Platten „Ghosteen“ und „Carnage“ aufführt. Ohne jegliches Publikum, wird Cave hier lediglich von der Kamera sowie von seinem langjährigen Mitstreiter Warren Ellis und einem dreiköpfigen Chor nebst Streichquartett begleitet. Musikalisch ist der ehemalige Punk nun irgendwo zwischen Neoklassik und Gospel angekommen, und auch seine Texte sind über die letzten Jahre hinweg immer klarer, einfacher und mitunter fast schmerzhaft direkt geworden.
Bei den spärlichen Interview-Einschüben, die die Musik gelegentlich unterbrechen, geht es vor allem um das Zusammenspiel zwischen Cave und Ellis. Beide stammen aus Australien und arbeiten seit 1996 zusammen. Neben den vielen gemeinsamen Platten mit Nick Cave & The Bad Seeds haben sie elf Platten mit Filmmusik herausgebracht. Einen dieser Soundtracks komponierten sie 2007 für Andrew Dominiks Neo-Western „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“. Folgerichtig übernahm Dominik 2016 dann auch die Regie für die Musikdokumentation „One More Time With Feeling“, in deren Mittelpunkt der Unfalltod von Nick Caves 15-jährigem Sohn Arthur stand.
Dieses Ereignis veränderte Cave nachhaltig, wie auch der Verarbeitungsprozess bis heute anhält. Und so handeln die Lieder im Film von Trauer, Verlust, Sehnsucht und Vergebung. Inszeniert hat Regisseur Dominik die Musik als donnerndes Konzertspektakel mit rotierenden Kamerafahrten, Stroboskopgewitter, gleißenden Lichtkegeln, die manchmal dem Musiker eine Art Heiligenschein verleihen, und einer mitreißenden Schnitttechnik, die selbst im Kinosaal eine Art Konzertfeeling aufkommen lässt.
Für alle Nick Cave-Fans ist das zumindest ein kleines Trostpflaster für all die verschobenen Konzerte. Ab März sind Ellis und Cave in den USA zu zweit auf Tour und im Sommer sollen dann endlich die Konzerte mit den Bad Seeds stattfinden. Dafür kommt er im Juni zurück in die Hauptstadt, aber nicht ins Kino, sondern zu einem großen Open Air auf der Berliner Waldbühne.
(Dieser Text erschien zuerst als Radiobeitrag in der Sendung „Filmriss – Das Berlinale-Magazin“, einem gemeinsamen Projekt der norddeutschen Bürgersender Kiel FM, Lübeck FM, Westküste FM, Tide Hamburg, Radio Leinewelle und Oldenburg Eins.)