Tina – Berlinale Special

(Foto: © Rhonda Graam)

Der Dokumentarfilm „Tina“ zeigt die musikalisch erfolgreiche, aber ebenso oft düstere Karriere der US-amerikanischen Sängerin Tina Turner. Die Regisseure Dan Lindsay und T.J. Martin sind erfahrene Dokumentarfilmer und bewerkstelligen es, ein unterhaltsames, wenngleich häufig erschütterndes Stück Pop-Geschichte zu einem spannenden Musikfilm zu verdichten. Dazu nutzen sie gängige Methoden der Montage unter Einbezug von Fotos, Filmausschnitte, historischen Interviews und aktuellen Gesprächen mit Musikjournalist:innen, Musiker:innen, Familienmitgliedern und anderen Weggefährt:innen der Künstlerin. Herzstück der Dokumentation ist ein rares Interview, das die mittlerweile 81 Jahre alte Tina Turner den Filmmachern 2019 gab.

Obwohl der Filme aus kleinen Kapitel zusammengesetzt ist, behandelt er zwei Oberthemen: In den ersten sechzig Minuten dreht sich alles um die frühen Erfolge mit Tuners damaligen Ehemann Ike Turner – ein begnadeter Gitarrist und Entdecker ihres Talents, der aber zugleich ein drogensüchtiger Kontrollfreak mit Hang zu schweren Gewaltausbrüchen war. Der Preis für wegweisende Hits der Rockgeschichte wie „Proud Mary“ und „Nutbush City Limits“ waren zwei Jahrzehnte voller Ausbeutung und häuslicher, sowie sexueller Gewalt an der Grenze zur Folter und zum Mordversuch. Die Beschreibungen und Aussagen dazu gehören zu den verstörenden Stärken des Films, weil sie direkt und deutlich benannt werden.

Die zweite Hälfte des Films zeigt nach Suizidversuchen, der buchstäblichen Flucht aus der Ehe und einer Scheidung, in der Turner nichts zugesprochen wurde außer ihrem Künstlerinnenpseudonym, den kometenhaften Aufstieg zum stadionfüllenden Superstar in den neunzehnhundertachtziger Jahren. Das dafür in großen Teilen verantwortliche Album „Private Dancer“ musste sie in England produzieren, weil sie in den USA keinen Plattenvertrag mehr bekam. Doch auch auf dem Höhepunkt ihre Karriere holte sie die Vergangenheit immer wieder ein. Egal, ob nun wegen der gemeinsam mit dem amerikanischen Musikjournalisten Kurt Loder geschriebenen Biografie „I, Tina“ oder dem 1993 gedrehten Spielfilm „What’s Love Got to Do with It“ mit Angela Bassett in der Hauptrolle – stets ging es um ihre traumatisierende Ehe mit dem 2007 verstorbenen Ike Turner.

Der Film schafft es in seinen besten Momenten einen Blick hinter die Kulisse eines umjubelten Superstars und maßgeblich einer Frau zu werfen, die aller familiären und persönlichen Tragödien zum Trotz erfolgreich überleben konnte. Und erst seit dem vollständigen Rückzug aus dem Showgeschäft fand sie Erfüllung im zwischenmenschlichen Bereich an der Seite des in Zürich lebenden Erwin Bachs, der als Co-Produzent der Dokumentation fungiert. Seit 2013 ist sie übrigens Schweizer Staatsbürgerin.

Die Musik von Tina Turner ist den meisten Menschen über 30 sicher noch gut im Ohr. Daher ist es begrüßenswert, dass der Film den Overkill aus bekannten Hits vermeidet, in dem er sich auf wenige Konzertausschnitte konzentriert. Zwei Ausnahmen gibt es: Eine Liveversion von „The Best“ zum Abspann des Films und kurz davor eine komplette Version von „Help“ von den Beatles – ein Stück, das sie mittels ihrer Stimme und einem neuen Arrangement vom Beatklassiker zu einer Soul-Ballade transformiert. Der musikalische Hilferuf wirkt nach den zuvor gehörten drastischen Schilderungen ihres frühen Lebens nicht nur mehrdeutig, sondern vor allem doppelt so eindringlich.

 

Der Radiobeitrag enthält urheberrechtlich geschützte Musik und kann deshalb hier nicht als Audiobeitrag online veröffentlicht werden.

(Dieser Beitrag erschien zuerst als Radiobeitrag in der Sendung „Filmriss – Das Berlinale-Magazin“, einem gemeinsamem Projekt der norddeutschen Bürgersender Kiel FM, Lübeck FM, Westküste FM, Tide Hamburg, Radio Leinewelle und Oldenburg Eins.)