Censor – Berlinale Panorama

(Foto: © Silver Salt Films)

England im Jahr 1985: Die Diskussion um schädliche Einflüsse durch Horrorfilme auf die Gesellschaft – insbesondere auf Kinder und Jugendliche – ist in vollem Gange. Maßgeblich angefacht seitens konservativer Politiker:innen sowie den Boulevardzeitungen, wird so versucht, die als „Video Nasties“ titulierte Genreware als mitverantwortlich für alles Übel in der Welt darzustellen. Enid, eine Filmzensorin arbeitet für die staatliche Filmbewertungsstelle. Genau und penibel schaut und bewertet sie jeden Tag brutale Videofilme und empfiehlt Kürzungen oder Verbote für den englischen Videomarkt.

(Radiobeitrag für Filmriss – Das Berlinalemagazin)

Bei einem Treffen mit ihren Eltern wird ihr eigenes Trauma deutlich: Als Kind spielte sie mit ihre Schwester im Wald, als diese plötzlich verschwand. Eines Tages glaubt sie ihre eigene Geschichte in einem Horrorfilm wiederzuerkennen, und beginnt obsessiv in heruntergekommenen Videotheken und bei zwielichten Filmproduzenten nach weiterem Material zu suchen. Zunehmend beginnt die filmische Fiktion mit Enids Realität ineinander zu greifen und ein irreales Bild zu zeichnen.

Censor“ ist das Spielfilmdebüt der britischen Regisseurin Prano Bailey-Bond. Bereits in ihrem Kurzfilm „Nasty“  hatte sie sich mit den vornehmlich auf Video veröffentlichten Horrorfilmen aus den neunzehnhundertachtziger Jahren auseinandergesetzt. Bei der Recherche dazu traf sie auf echte Filmzensorinnen aus dieser Zeit. Eine davon war als Psychologin tätig, die andere Schauspielerin. Aus diesen Gesprächen formte sie die Elemente für ihre Hauptfigur Enid.

Censor“ zeigt politische und soziale Implikationen; unter anderem festgemacht an einem bis heute nachwirkenden Neoliberalismus durch Law-And-Order-Politiker:innen wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan und den von ihnen vorangetriebenen Kürzungen von Sozialleistungen sowie der Privatisierung von Staatsbetrieben. Auch die so genannte geistig-moralische Wende der Ära Helmut Kohls ging in Deutschland Hand in Hand mit dem Streit um Horrorvideos im Kinderzimmer. Der Schutz der Jugend war ein nur zu gern genommener Vorwand, um erwachsene Filmfans zu bevormunden und die Kunstfreiheit einzuschränken, anstatt durch Investitionen in Soziales wirkliche Veränderungen zu initiieren.

Aus der Rückschau erreichte diese Zensur allerdings das genaue Gegenteil. Lange Jahre florierte ein europaweiter Undergroundvertrieb von Bootleg-Videokassetten aus Holland oder den USA. Der Reiz des Verbotenen machte viele Filme erst so richtig bekannt und führte zu einem andauernden Kult um den Horrorfilm der späten neunzehnhundertsiebziger und frühen -achtziger Jahre.

Als Sujet für Meta-Horrorfilme ist das alles nicht ganz so neu, wie beispielsweise Peter Stricklands 2012 gedreht Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“ oder die 2014 von Adam Brooks und Matthew Kennedy in Kanada gedrehte schwarze Komödie „The Editor“ beweisen. „Censor“ sprudelt geradezu über vor Zitaten, Anspielungen und Referenzen. Abel Ferraras „Driller Killer“ ist gleich zu Beginn zu sehen. Einige Sequenzen des Films wirken wie Kopien von Sam Raimis berühmt-berüchtigtem „Tanz der Teufel“ und die Farbdramaturgie mit den Primärfarben Rot und Blau erinnert an Dario Argentos Technicolor-Spektakel “Suspiria“, wie auch die Filmmusik der französischen Komponisten Emilie Levienaise-Farrouch an Argentos Hauskomponisten Claudio Simonetti und dessen Band Goblin denken lässt. Da verwundert es nicht weiter, dass einer der Koproduzenten des Films der britische Filmkritiker Kim Newman ist, der als Zeitzeuge dieses Genre seit vier Jahrzehnten begleitet.

In der Hauptrolle brilliert die irische Schauspielerin Niamh Algar. Sie gewann im letzten Jahr den irischen Filmpreis für ihre Rolle in dem Krimi-Drama „Calm With Horses“ und war zuletzt in der von Ridley Scott produzierten Science-Fiction-Serie „Raised By Wolves“ zu sehen. Über weite Stercken trägt Algar den Film mit ihrer faszinierenden Wandlung von einer zwanghaften Bürokratin hin zur axtschwingenden Scream Queen.

Letztlich entscheidet sich Regisseurin Prano Bailey-Bond aber für das Genre und gegen das Drama. So wird die Filmzensorin selbst zur Darstellerin in einem Horrorfilm, dessen Twists und Wendungen teilweise zu den Klischees werden, die der Film am Anfang noch ironisch aufs Korn nimmt. „Censor“ ist also eher eine liebevolle Hommage an die vergangene Blütezeit der Slasher- und Zombiefilme – und weniger ein psychologisches Drama über transgressive Kunst und gesellschaftspolitische Zustände. Und somit, wie viele gute Horrorfilme aus den achtziger Jahren, unterhaltsam, aber etwas flach.

 

(Dieser Beitrag erschien zuerst als Radiobeitrag in der Sendung „Filmriss – Das Berlinale-Magazin“, einem gemeinsamem Projekt der norddeutschen Bürgersender Kiel FM, Lübeck FM, Westküste FM, Tide Hamburg, Radio Leinewelle und Oldenburg Eins.)