10 Tipps fürs Reeperbahn Festival

Heute startet in Hamburg das 16. Reeperbahn Festival. Nachdem pandemiebedingt im letzten Jahr vor Ort nur ein verkleinertes Line-Up mit größtenteils nationalen Acts möglich war, und ein großer Teil der Konzerte virtuell übertragen wurde, kehrt das Festival in diesem Jahr in weitaus beachtlicheren Dimensionen zurück. Unter Einhaltung der 3G-Regel werden vierhundert Bands bzw. Künstler:innen aus aller Welt live spielen, dazu kommt eine Reeperbahn-Konferenz mit zahlreichen Workshops und Diskussionspanels.

Nachdem die Musikindustrie und vor allem die Veranstaltungsbranche im letzten Jahr drastische Veränderungen und Einbußen hinnehmen musste und auch weiterhin hinnehmen muss, steht Hamburg in diesem Jahr natürlich noch ganz im Zeichen dieser Krise. Gerade deshalb will das Festival den Beweis antreten, dass die Livemusik als gemeinsames Erlebnis zurück ist – der größte deutsche Branchentreff für Indierock- und Indiepop versucht so ein deutliches Signal zu setzen.

Ich habe ein paar persönliche Favoriten aus dem Programm herausgesucht, die zu den musikalischen Schwerpunkten meiner Radiosendung und folgerichtig in die Bereiche Postrock, Neoklassik, Postpunk, Dream Pop und elektronische Musik passen.

 

Another Sky

„I Slept On the Floor“ heisst das erste Album des Londoner Quartetts Another Sky. Die zwei Frauen und zwei Männer erregten bereits mit ihren ersten beiden EPs einiges Aufsehen, bis im Herbst letzten Jahres ihr Debütalbum auf Fiction Records erschien. Im Mittelpunkt steht die Sängerin und Songschreiberin Catrin Vincent, deren charismatische und außergewöhnliche Stimme etwas androgynes sowie sich traditionellen Zuschreibungen entziehendes hat. Ihre Songs sind lyrische Tagebucheinträge zu allem was sie bewegt, von Frauenfeindlichkeit und toxischen Beziehungen über Rassismus und Polizeigewalt bis hin zum Umgang mit geistiger Gesundheit und den ganz persönlichen Schwierigkeiten mit der heutigen Welt zurechtzukommen. Dazu spielen Another Sky schwer kategorisierbaren Indierock zwischen stadiontauglicher Euphorie und experimentellem Kammerpop mit Einflüssen von Tracy Chapman über Tori Amos hin zu Talk Talk und Radiohead. Sehenswerte Musikvideos produzieren sie außerdem.

Freitag, 24.09. 22:00h Molotow / Club

Boundaries

Boundaries ist ein dänisches Postrock-Quartett, deren im März erschienenes erstes Album „Maidan“ vor allem klassische Elemente von Shoegaze und Postpunk beinhaltet. Erweitert wird dieser Sound mittels ungewöhnlicher Instrumentierung wie Violine, Mandoline und Guzheng, ein traditionelles chinesisches Instrument. Der Maidan ist die Kreuzung, der Versammlungsort, der Dorfplatz – dort wo Kundgebungen, Treffen und Proteste stattfinden. Weltschmerz und Widerstand sind auch zentrale Themen ihrer Musik. 2018 haben sie ihre erste EP veröffentlicht; seitdem spielten sie auf zahlreichen Festivals und waren in ihrer Heimat Dänemark erfolgreich auf Tour.

Samstag, 25.09. 17:45h Molotow / Backyard

Casper Clausen

„Better Way“ heißt das im Januar erschienen erste Soloalbum des dänischen Musikers und Sängers Casper Clausen. Mit seiner Experimental-Indiepopband Efterklang und dem Nebenprojekt Liima hat er in den letzten Jahren zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. In meiner Sendung war er zuletzt mit „Altid Sammen“ von Efterklang (2019) und „1982“ von Liima (2017) zu hören. Er lebt und arbeitet in Lissabon in Portugal und hat die Platte in der freien Zeit zwischen den anderen Projekten aufgenommen. Seine Musik ist eine Mischung aus Ambient, Elektropop, experimenteller Musik und Artpop mit Einflüssen, die über Progressive Rock bis hin zum Krautrock reichen. Abgemischt und produziert wurde die Platte vom ehemaligen Spaceman-3-Keyboarder Peter Kemper aka Sonic Boom. Das neue Efterklang-Album „Windflowers“ ist für den achten Oktober angekündigt. In Hamburg gibt es vorher noch einmal die Gelegenheit Casper Clausen solo zu sehen.

Samstag, 25.09. 22:10h St. Pauli-Kirche

Communions

Die dänische Indierockband Commuinions um die Brüder Mads und Martin Rehof brachte 2017 ihr erstes Album „Blue“ heraus. Inzwischen arbeiten die beiden nur noch als Duo mit wechselnden Begleitmusiker:innen. Die aktuelle Platte „Pure Fabrication“ ist ein Doppelalbum und befasst sich mit Identität und dem Erwachsenwerden. Der Titel spielt darauf an, dass jede Form von Identität reine Erfindung sei. Sie erzählen auf dem Album eine Art umgedrehter Coming Of Age-Story, die nicht wie üblich einen schmerzhaften, aber nötigen Wachstumsprozess als etwas Positives feiert, sondern in dem jede Erfahrung einen nur noch pessimistischer, desillusionierter und verletzter zurück lässt. Dazu gibt es Post-Punk, Waverock und leicht Neo-Britpoppigen Sound aus Kopenhagen.

Donnerstag, 23.09. 21:50h Moondoo

Drab City

„Good Songs For Bad People“ nennt das Berliner Duo Drab City sein erstes Album, das im letzten Jahr auf dem britischen Label Bella Union erschienen ist. Sängerin Asia Nevolja stammt ursprünglich aus Hagen und hat als Tochter muslimisch-bosnischer Eltern zunächst als Islamiq Grrrls mit Christopher Dexter Greenspan aka oOoOO einige gemeinsame Tracks zwischen Witchhouse und Synthiepop produziert. Als frisch gegründetes Duo haben sie ihre Klangpalette deutlich erweitert, nun spielen sie experimentellen Elektro-Pop mit Einflüssen aus Jazz, Psychedelic Rock und französischem Chanson-Pop der siebziger Jahre. Ihr düsterer Lounge-Pop weckt Erinnerungen an die Musik von Bohren & Der Club Of Gore und die Filme von David Lynch.

Mittwoch, 22.09. 18.40h Imperial Theater

Eugenia Post Meridiem

Eugenia Post Meridiem sind eine junge Indiepopband aus Italien, deren sommerlich-leichter Pop wiederholt fast aus den Schienen springt, um dann düstere und experimentelle Kurven zu nehmen. Sängerin Eugenie und ihre Mitstreiter erinnern dabei an die späten Beatles oder die fröhlich-bedrohliche Stimmung der frühen Cardigans. Obwohl in Italien zu Hause, haben sie sich bei Straßenkonzerten in Lissabon kennengelernt und ihre verschiedenen musikalischen Hintergründe von Progressive Rock, über Funk bis Singer-Songwriter Folk miteinander verbunden. Die Gruppe wird in Hamburg bei einem ihrer ersten Auftritte in Deutschland die neue Doppelsingle „Life Sleeper’ (Side A & Side B)“ vorstellen. Der italienische Rolling Stone zählte sie im letzten Jahr zu den zwanzig wichtigsten Newcomern aus Italien.

Donnerstag, 23.09.2021 19:00h UWE
Freitag, 24.09.2021 15:15h NJOY Reeperbus

Meredi

Die Berliner Musikerin Meredi studierte zunächst Harfe und Komposition an der Universität der Künste sowie der Hanns Eisler Hochschule für Musik. Erste Orchesterstücke wurden 2012 aufgeführt, danach lag ihre Schwerpunkt auf Musik für Theater, Ballett und Film. 2018 machte sie ihren Bachelor Of Arts in Filmmusik an der Hochschule für Musik und Theater München. Im letzten Jahr hat sie mit ihrem ersten Album „Stardust“ eine Brücke zu Pop und Neoklassik geschlagen, die sie mit ihrer Anfang August erschienen neuen Platte „Trance“ weiterverfolgt und um Ambient sowie elektro-akustische Soundcsapes erweitert. Wer sich für die oft cineastisch anmutenden Musiklandschaften eines Yann Tiersen oder Ólafur Arnalds interessiert, sollte sich das Konzert von Meredi auf keinen Fall entgehen lassen.

Freitag, 24.09. 19:00h St. Pauli-Kirche

Working Men’s Club

Der Working Men’s Club wurde vor einiger Zeit als nächste große Hoffnung in England gehandelt. Aber noch vor den Aufnahmen zur ersten Platte hatte sich die Band bereits aufgelöst.

Teile der ursprünglichen Gruppe um Sänger Syd Minski fanden sich dann aber mit neuen Musikern zusammen und stellten ihr erstes Album im Herbst letzten Jahres fertig. In den ärmeren Stadtvierteln der englischen Provinz sind Working Men’s Clubs oft die einzige Anlaufstelle für unterprivilegierte jungen Leute. Von dieser von Armut, Chancenlosigkeit und Depression geprägten Jugend handeln auch die Songs der Band; aktueller britischer Industrial-Elektropop mit einem gehörigen Schlag Noiserock und Postpunk.

Produziert wurde das von einer Indie-Größe – Ross Orton hat bereits The Fall, M.I.A. und die Arctic Monkeys im Studio begleitetet.Donnerstag,

23.09.2021 18:30h Grünspan

Yukno

Das österreichische Pop-Duo Yukno ist ein recht ungewöhnliches Phänomen in der deutschsprachigen Popmusik, welches sich bei Kunstzitaten, düsterer Clubmusik und krautigen Retropop-Elementen bedient. Ihre erstes Album „Ich kenne kein Weekend“ zitiert bereits im Titel Joseph Beuys, während ihre im letzten Jahr erscheinen EP „LAND OF CONFUS1ON“ an einen Hit der späten Genesis erinnern. Auf ihrem neuen Album „Im Stream Der Zeit“ gelingt ihnen eine Art unwiderstehlich melancholisch-lakonische Popmusik, deren Wurzeln aus Synthiepop, Krautrock und Hip-Hop immer wieder durchschimmern, aber die Synthese derartiger Sounds ist in dieser Form so nur bei Yukno hörbar. Produziert haben sie die Platte in den Riverside Studios in Berlin gemeinsam mit Henrik Müller vom Erfolgsproduzentenduo Feeling Valencia (KLAN, Max Prosa, Nosoyo). Gäste auf dem Album sind die deutsche Sängerin Lina Maly und die Wiener Band Oehl.

Mittwoch, 22.09. 22:00h Knust

Sisters With Transistors

Neben den ganzen Konzerten gibt es beim Reeperbahn Festival auch immer eine fein kuratierte Reihe mit Musikfilmen, die dann in den Hamburger Zeise-Kinos zu sehen sind. Neben dem wiederentdeckten Konzertfilm „Summer Of Soul“ und der Edgar-Wright-Doku „Sparks Brothers“ interessiert mich besonders die Dokumentation über Frauen in der elektronischen Musik. „Sisters With Transistors“ von Regisseurin Lisa Rovner zeigt die Arbeit von Komponistinnen und Musikerinnen wie Daphne Oram, Delia Derbyshire, Suzanne Ciani und Laurie Spiegel. Ihre experimentellen und innovativen Wege Musik zu erschaffen, egal ob für Radio, TV, Hörspiel oder in Bereichen wie Ambient, Kosmische Musik und New Age, blieb lange Zeit im Verborgenen – während männliche Komponisten für gleiche und weniger innovative Arbeiten stets verlässlich gefeiert wurden. Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren fand hier ein Umdenken statt und viele Komponistinnen wurden neu oder wiederentdeckt,was ein notwendiges Korrektiv in der Geschichte der elektronischen Musik darstellt. Den Offtext der Dokumentation spricht die amerikanischen Komponistin und Musikerin Laurie Anderson, selbst eine Pionierin der elektronischen Musik, der jedoch immer schon große Anerkennung für ihre Arbeit zu Teil wurde.

Samstag, 23.09. 16:30 Zeise Kinos