Interview mit Martyn Ware
Der britische Musiker und Komponist Martyn Ware gehört zu den einflussreichsten Künstlern der elektronischen Musik und prägte mit seinen Bands The Human League und Heaven 17 den Synthie Pop und die New Wave der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Zum 40-jährigen Jubiläum der ersten beiden Alben von Heaven 17 ist Ware in diesem Jahr wieder mit Sänger Glenn Gregory auf Tour. Anfang April habe ich ihn in Oldenburg vor seinem Konzert in der Kulturetage zu einem ausführlichen Gespräch getroffen.
Interview mit Martyn Ware in Oldenburg am 01.04.2023
Martyn Ware stammt aus Sheffield, einer ehemals florierenden Industriestadt im Norden Englands, die Mitte der siebziger Jahre ebenso wie viele andere Städte in England von Arbeitslosigkeit, Armut und einem Mangel an Zukunftsaussichten geprägt war. “No Future!” war das politische Motto der Zeit, und der Protest der britischen Jugend brach sich im Punk der Sex Pistols oder The Clash seine Bahn. Ware und einige seiner Freund*innen in Sheffield gingen einen anderen Weg und entwickelten beeinflusst vom elektronischen Sound von Tangerine Dream und noch mehr Kraftwerk eine Art elektronischer Protestmusik. Zu diesem heute auch in Sheffield als Kulturgut gefeiertem Sound gehörten neben The Human League die schon existierenden Cabaret Voltaire, und die später entstandenen Clock DVA, ABC und Thompson Twins.
Nach den zwei wegweisenden Human League-Alben „Reproduction“ (1979) und „Travelogue“ (1980), aber vor allem nach reichlich Streit mit Sänger Phil Oakey, verließen die Gründungsmitglieder Martyn Ware und Ian Craig Marsh ihre eigene Band und gründeten zunächst die Produktionsfirma B.E.F. (British Electric Foundation), und dann gemeinsam mit Sänger Glenn Gregory eine neue Gruppe: Heaven 17.
Zum elektronischen Sound der Anfangstage kamen jetzt verstärkt Einflüsse von Soul und R&B hinzu. Mit B.E.F arbeiteten sie auch erstmals mit Tina Turner zusammen, und waren schließlich 1984 an ihrem erfolgreichem Comeback-Album “Private Dancer” als Produzenten und Musiker beteiligt.
Heaven 17 spielten einerseits eingängigen elektronischen Blue Eyed-Soul und hatten etliche Hits wie “Let Me Go”, “Come Live With Me” oder “Temptation”, die sich vordergründig vor allem mit Liebe und Verlangen beschäftigten, andererseits schmuggelten sie zugleich subversive Politsongs wie “Crushed By The Wheels Of Industry”, “(We Don’t Need) That Facist Groove Thang” oder “Let’s All Make A Bomb” in die Charts, die sich recht eindeutig um Themen wie Rechtsextremismus und Kapitalismus, sowie um den Kalten Krieg und der Angst vor der atomaren Auslöschung drehten, und die bis heute nichts von ihrer Aktualität und Aussagekraft verloren haben.
Als reines Studioprojekt geplant, steckte das Trio all seine künstlerische Kraft in die Produktion und in die aufwändigen Musikvideos, die Anfang der achtziger Jahre einen wahren Boom erlebten, und für viele Musiker wichtiger waren als Liveshows. Erst Ende der neunziger Jahre gaben Heaven 17 ihr Livedebüt, und nach dem Ian Craig Marsh 2006 seinen Ausstieg verkündet hatte, sind Ware und Gregory heutzutage als Duo nebst zusätzlichen Sängerinnen und Musikerinnen unterwegs.
Wegen der Pandemie musste ihre Tour zum Jubiläum von “Penthouse And Pavement” (1981) und “The Luxury Gap” (1983) mehrfach verschoben werden, aber 2023 haben Heaven 17 schon etliches nachgeholt, und sind fast durchgehend mit Konzerten und Festivals ausgebucht gewesen.
Martyn Ware findet trotzdem noch regelmäßig Zeit seinen ursprünglich nur als Pandemie-Zeitvertreib geplanten, aber dann überraschend erfolgreichen Podcast “Electronically Yours… with Martyn Ware” zu produzieren, in dem er in mittlerweile in rund 160 Folgen mit Zeitgenossen und Epigonen der elektronischen Musik plaudert. Dabei waren u.a. schon Bill Nelson, Toyah, Steve Hillage, Andy McCluskey (OMD), Stephen Morris (New Order), Cosey Fanni Tutti, Richard X, Moby, Nile Rodgers, Thomas Dolby, Midge Ure, Kim Wilde.
Im März hat er zudem seine Autobiographie „Electronically Yours Vol.1“ herausgebracht, und ab September sind Heaven 17 mit ihrer „40 Years of The Luxury Gap, 40 Years of Temptation“-Shows wieder in ihrer Heimat Großbritannien unterwegs.
Interview mit Martyn Ware am 01.04.2023 in Oldenburg