12 Tipps fürs Reeperbahn Festival

Das Reeperbahn Festival wird erwachsen. Mit 18 ist die Teenagerzeit vorbei und es gilt sich der Erwachsenenwelt zu stellen. Ganz so schlimm wird es natürlich nicht bei der achtzehnten Ausgabe des Festivals rund um den Hamburger Stadtteil St. Pauli werden – dafür sorgen weit über 300 Bands und Künstler*innen, die ab Mittwoch bei ihren Konzerten in der Hansestadt auf kleinen Kellerbühnen und in großen (Elb-)Philharmoniesälen spielen werden.

Aber Nachwirkungen der Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine sorgen weiterhin für wirtschaftliche Nöte in der Musikbranche. Das Reeperbahn Festival stellt bewusst den Nachwuchs in den Mittelpunkt, denn besonders jüngere Musiker*innen müssen sich weiterhin mit Konzertausfällen oder ganzen Tourabsagen auseinandersetzen, während große Popstars für Unsummen in riesigen Arenen spielen. Lediglich eine Folge von Angebot und Nachfrage? Darüber wird auf den zahlreichen Konferenzveranstaltungen des Festivals mit Musikerinnen, Labels, Tourneeveranstalterinnen, Festivalmachern und Personen aus den Medien diskutiert werden müssen.

Das Festival selbst hofft in diesem Jahr erstmals wieder an die Zahlen vor der Pandemie anknüpfen zu können. 2019 waren zuletzt 50.000 Menschen gekommen. Dann brachen die Zahlen wegen Corona ein, aber im letzten Jahr waren es bereits wieder 41.000 Besucher*innen.

Dabei helfen sollen natürlich vor allem bekannte Acts wie die Pretenders, Billy Bragg, The Hives oder die Blood Red Shoes, und bei der Kritik angesagte Musiker*innen wie die Britin Arlos Park, die bei der Eröffnungsgala dabei ist, oder die niederländische-türkische Combo Altin Gün, die dieses Jahr in der Elbphilharmonie auftreten.

Für meine Sendung konzentriere ich mich wie gewohnt auf außergewöhnliche Sounds zwischen Ambient, Postpunk, (Neo-)Klassik und Dream Pop an der Grenze zur experimentellen Musik, diesmal mit zwölf Künstler*innen, deren Musik ich schon bei soundundvision vorgestellt habe, oder es nach dem Reeperbahn Festival noch tun werde.

 

Arab Strap

Die Band Arab Strap gehörte Ende der neunziger Jahre neben den Postrockern von Mogwai zu den musikalisch aufregendsten neuen Gruppen Schottlands. Im Lauf der Zeit kristallisierten sich Aidan Moffat und Malcolm Middleton als Kernduo heraus, und veröffentlichten zahlreiche Platten zwischen Folktronica, Low-Fi-Pop und düsterem Postrock. Nach zehn Jahren Pause und zahlreichen Soloprojekt kehrten sie 2016 als Arab Strap zurück. Im November wird die Band sechs Akustik-Shows zum 25-jährigen Jubiläum ihres Albums „Philophobia“ aus dem Jahr 1998 in Deutschland spielen. Vorher sind sie schon in Hamburg zu einem exklusiven Festivalgig zu Gast.

Samstag, 23.09. 21:40h Grünspan

 

Die Selektion

Rechtzeitig zum Festival erscheint am Freitag das neue Album „Zeuge Aus Licht“ von Die Selektion. Das Stuttgarter Coldwave-Quartett wurde 2010 von Sänger Luca Gillian, Trompeter Hannes Rief und Produzent Max Rieger (Die Nerven, All Diese Gewalt) gegründet. 2012 stieß Samuel Savenberg dazu und komplettierte das gleichberechtigt arbeitende Kollektiv. „Zeuge Aus Licht“ besticht durch einen klaren, treibenden Sound, der durchaus Erinnerungen an DAF oder Depeche Mode weckt, aber durch Einsatz von Riefs Trompete musikalisch neue Wege beschreitet und mit Elementen aus Pop, EBM und Postpunk ein electroaffines Publikum weit über Deutschland hinaus anspricht. Dies hat die Band  bei Konzerte quer durch Europa und darüber hinaus sogar bis nach Mexiko unter Beweis gestellt.

Donnerstag, 21.09. 22:10h Baalsaal

 

Egyptian Blue

Die britische Formation Egyptian Blue bezieht sich wie viele andere moderne Bands auf den klassischen britischen Postpunk von Bands wie Public Image Limited oder Wire. Die Gruppe aus Brighton bringt diesen Stil schön ungestüm und melodisch auf die Bühne, wobei sie vor wilden Noise-Attacken und Feedbackorgien nicht zurückschrecken. Die flirrenden Girtarrenlinien dürften Fans der IDLES genauso so ansprechen, wie alle, die die frühen Editors gut fanden. Das Debütalbum „A Living Commodity“ erscheint am 27. Oktober.

Freitag, 22.09. 23:55h Molotow / Backyard

 

Etran de L’Air

Seit mehr als 25 Jahren gehören Etran de L’Air zu den wichtigsten Rockbands aus Afrika. Die Gruppe begann wie viele Bands aus Nordafrika als Hochzeitsband, und ist ein Familienunternehmen. So war der aktuelle Bandleader Moussa „Abindi“ Ibar bei der Bandgründung 1995 erst neun Jahre alt. Im letzten Jahr haben sie mit dem Album „Agadez“ ihrer Heimatstadt in Niger ein Denkmal gesetzt. Trotz musikalischer Verbindungen zu Bands wie Tinariwen, Imarhan oder Mdou Moctar verstehen Etran de L’Air ihre Musik vor allem als pan-afrikanischen Sound, der sich weniger an westliche Rockmusik anlehnt, als dies andere Bands tun. Trotzdem oder gerade deswegen wird ihre Musik auf der ganzen Welt verstanden, wie eine lange Sommer-Tour quer durch Amerika gezeigt hat. Passend dazu gibt es auch eine neue EP mit dem Titel „Live In Seattle“.

Mittwoch, 20.09. 22:00h Angie’s Nightclub

 

Gaspar Claus & Casper Clausen

Der dänische Sänger Casper Clausen hat schon beim Festival 2021 in der St.Pauli Kirche sein Soloalbum „Better Ways“ präsentiert und bewiesen, dass Konzerte unter Coronabedingungen ein verbindendes und positives Erlebnis darstellen können. Danach war er zunächst in seiner gewohnten Rolle als Sänger der Band Efterklang unterwegs, um nun erneut mit Solomaterial nach Hamburg zurückzukehren. Ganz allein ist er dabei nicht, denn mit dem französischen Cellisten Gaspar Claus hat er einen ausgewiesenen Meister in Sachen Filmmusik, Klassik und Improvisation an zur Seite, dessen großartiges Soloalbum „Tancade“ ich 2021 schon in meiner Sendung vorgestellt habe. Claus & Clausen haben 2018 ihr erstes gemeinsames Album herausgebracht; jetzt kommen sie in Hamburg wieder zusammen und spielen erneut in der St.Pauli-Kirche.

Samstag, 23.09. 23:20h St. Pauli-Kirche

 

Hauschka

Mit dem Gewinn des Oscars für die beste Filmmusik für „Im Westen nichts Neues“ ist der deutsche Komponist und Pianist Volker Bertelmann über Nacht weltweit bekannt geworden. Später Ruhm für einen Mann, der schon seit den frühen Neunziger Jahren Unmengen an Musik von Hip-Hop über Pop bis zu Indierock und elektronischer Experimentalmusik veröffentlicht hat, da sind dreißig Filmmusiken noch gar nicht eingerechnet. Unter dem Namen Hauschka ist er für Musik zwischen Klassik und Ambient weltweit ein Begriff. In Hamburg präsentiert er zum ersten Mal sein neues Album „Philanthropy“ live, welches dann am 20. Oktober auf dem Berliner Label City Slang erscheinen soll.

Freitag, 22.09. 19:30h resonanzraum

 

Ichiko Aoba

Sehr exklusiv ist der Auftritt der japanischen Folk-Sängerin und Songwriterin Ichiko Aoba, die nur äußerst selten in Deutschland zu sehen ist. Ihr Hauptinstrument ist die Gitarre, auf der sie den Großteil ihrer Musik komponiert, die unter anderem von den Filmen des Studio Ghibli und den klassischen Disney-Produktionen beeinflusst ist. Sie spielt außerdem Klavier, Klarinette, Akkordeon und Flöte. Ihre Musik wird in Computerspielen und Animes verwendet, und ihre fantastischen Texte und Geschichten sind häufig von ihren Träumen inspiriert. Sie hat in der Vergangenheit schon mit Ryuichi Sakamoto, Cornelius und Mac De Marco zusammengearbeitet. In Hamburg präsentiert sie ihr aktuelles Album „ Sketch (青葉市子)“.

Donnerstag, 21.09. 20:00h Grünspan

 

Kids With Buns

Neue Musik aus Belgien gibt es von Bedroom-Producer- / Dream-Pop-Duo Kids With Buns. Marie Van Uytvanck und Amber Piddington haben sich 2019 zusammengetan, und sich nach dem Gorillaz-Song „Kids With Guns“ benannt, den sie entsprechend verballhornt haben. Mit ihren ersten Singles haben sie in der Heimat schon zahlreiche Musikwettbewerbe gewonnen. Der größte Erfolg waren dann im letzten Jahr zwei ausverkaufte Konzerte im legendären Ancienne Belgique. Marie nennt den großen Folksänger Nick Drake als Vorbild, während Gitarristen Amber sich von Ben Howard inspiriert sieht. Außerdem sind beide große Fans von Marie Ulven Ringheim, besser bekannt als girl in red. Das alles wird auf ihrem lang erwarten ersten Album „Out Of Place“ zu hören sein, das am 13. Oktober erscheint. Und natürlich vorab schon live bei ihrem Auftritt in Hamburg

Donnerstag, 21.09. 21:40h Imperial Theater

 

Moritz Fasbender

Die in Leipzig lebende Komponisten Friederike Bernhardt hat in den letzten Jahren vor allem Musik für zahlreiche Theater- und Rundfunkproduktionen veröffentlicht. Moritz Fasbender ist eines ihrer Pseudonyme für eigene Kompositionen zwischen elektro-akustischer Musik, Klassik und Ambient. Mitunter arbeitet sie mit Geräuschen, Samples und Stimmen, die sie dann mit Sounds aus dem Klavier und dem Synthesizer verbindet. Im letzten Jahr hat sie mit „13 Rabbits“ ihr Debütalbum als Moritz Fasbender herausgebracht, welches sie jetzt auch in Hamburg live präsentiert.

Freitag, 22.09. 22:00h resonanzraum

 

Sophie Blenda

Die österreichische Songschreiberin und Sängerin Sophia Löw hat unter dem Namen Sophie Blenda im letzten Jahr ihr erstes Soloalbum „Die Neue Heiterkeit“ herausgebracht. Nach zwei ungestüm-rockigen Alben als Sängerin der Wiener Postpunk-Band CULK fand sich darauf düsterer kammermusikalischer Experimentalpop mit viel Klavier und düsteren Synthesizerflächen. In ihren Texten widmet sie sich feministischen und sozialen Fragen, und untersucht Stereotype und Körperbilder. Aufgenommen hat sie das Album mit Jakob Herber, Schlagzeuger von FLUT und Produzent beider CULK-Alben. Bevor im November das dritte CULK-Album „Generation Maximum“ erscheinen wird, gibt es in Hamburg noch einmal die Gelegenheit Sophia Löw aka Sophie Blenda solo zu erleben.

Freitag, 22.09. 19:50h St.Pauli-Kirche

 

Tirzah

2021 hatte die britische Sängerin und Songschreiberin Tirzah Mastin mit ihrem zweiten Album „Colourgrade“ ihren Durchbruch. Der Nachfolger ihres Debüts „Devotion“ (2018) entstand größtenteils auf Tour. Sie hat zahlreiche Konzerte mit ihren musikalischen Partner*innen Mica Levi und Coby Sey gespielt. Levi, bekannt für ihre zahlreichen Filmmusiken , beispielsweise für „Under the Skin“ oder „Jackie“, hat das Album als Produzentin begleitet, währende Coby Sey des Albums abgemischt hat.
Ihre Musik ist eine Art Bedroom-Pop mit Singer-Songwriter-Anteilen, gepaart mit Noise, experimentellen Sounds und R&B-Versatzstücken. Anfang September erschien dann ihr Überraschungsalbum „Trip9love“, welches sie allein mit Mica Levi im Duo nur auf Drumcomputer und Klavier eingespielt hat.

Samstag, 23.09. 21:15h Übel & Gefährlich

 

Zaho De Sagazan

Die französische Sängerin Zaho de Sagazan ist in ihrem Heimatland schon einige Zeit als Vertreterin einer neuen Variante des Chansons bekannt. Ihre düster-elektronischen Kompositionen beziehen sich zwar auf Jacques Brel und Christoph, aber sie nennt ebenso Kraftwerk als großen Einfluss. Die klassisch ausgebildete Pianistin nutzt reduzierte Klavierstücke mit kammermusikalischem Flair als Ausgangspunkt für ein Abdriften in elektronische Kompositionen. Diese können zuweilen radikal-avantgardistisch daherkommen, oder gar Pop-Appeal besitzen, wie zahlreiche Radioeinsätze bei französischen Stationen beweisen. Im März erschien in Frankreich ihr erstes Album „La symphonie des éclairs“.

Mittwoch, 20.09. 23:00h Nochtspeicher