Interview mit David Gregory
Der britische Regisseur David Gregory ist nicht nur Filmemacher, sondern durch die Arbeit seiner Produktionsfirma Severin auch Historiker, Archivar, Produzent und Kurator für Horrorfilme, B-Movies, Exploitation, sowie filmische Kuriositäten aller Art. Auf diese Weise rückt er immer wieder vergessene Randbereiche der Filmgeschichte in den Fokus, nachvollziehbar gerade erst in seinem neusten Dokumentarfilm „Enter The Clones Of Bruce“, der beim 30. Internationalen Filmfest Oldenburg im September als deutsche Premiere gezeigt wurde.
(Radiointerview mit David Gregory bei Oldenburg Eins 16.09.2023)
„Enter The Clones Of Bruce“ ist die Geschichte der sogenannten „Brucesploitation“. Nach dem frühen Tod des Martial Arts-Superstars Bruce Lee im Sommer 1973, wurden vor allem in Hongkong, aber auch in anderen asiatischen Ländern, zahllose Filme mit Schauspielern gedreht, welche dem nachgeeiferten, Idol mehr oder weniger ähnlich sahen, und phonetisch angenähert klingende Pseudonyme wie Bruce Li, Bruce Le oder Dragon Lee trugen. Findige Produzenten beuteten so den Ruhm des verstorbenen Stars zu ihren Gunsten aus, daher auch die Genrebezeichnung „Brucesploitation“, ein Kofferwort aus Bruce Lee und Exploitationfilm.
Diese Welle von filmischen Nachahmern erreichte in den siebziger Jahren amerikanische und europäische Kinos, in denen die in Deutschland häufig als Kung-Fu-Filme bezeichneten Streifen als der letzte Schrei galten. Der junge David Gregory aus dem britischen Nottingham war ebenfalls Fan dieser Filme, und hat sich dann viele Jahrzehnte später aufgemacht, die damals beteiligten Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Produzent*innen ihre Geschichten dazu erzählen zu lassen.
Gregory war aber nicht nur Fan der Martial Arts-Welle, sondern überdies fasziniert von allem, was das Kino an dunklen Geheimnissen zu aufzubieten hatte – insbesondere aber an den im England der achtziger Jahre langen verbotenen und zensierten Horrorfilmen. Blutrünstige Videofilme, auf der Insel auch „Video Nasties“ genannt, lösten in England und Deutschland eine vorurteilsbehaftete Diskussion um den Schutz der Jugend aus. Nicht etwa Armut, Perspektivlosigkeit, Bildungsmangel und wirtschaftliche Probleme wurden damals als Gefahr für die Heranwachsenden ausgemacht; nein, Verderbtheit und Jugendkriminalität entsprangen allein den Videotheken. Seltsamerweise jedoch lediglich in Deutschland und England, aber nicht in den Niederlanden oder Frankreich. Derartige Diskussionen fanden dort so gut wie nicht statt, wie in jenen Ländern auch kaum eine Zensur ausgeübt oder Verbote ausgesprochen wurden.
Letzterem Phänomen ging Gregory bereits in den neunziger Jahren mit seiner Dokumentation „Ban The Sadist Videos“ nach, worauf die Überlegung folgte, eine Firma zu gründen, um all diese inkriminierten Werke zu restaurieren, um diese schließlich der Öffentlichkeit unzensiert präsentieren zu können. Mit Carl Daft gründete er deshalb zunächst noch in England die Vertriebsfirma Blue Underground, zog dann aber in die in Sachen Horrorfilmen etwas liberaleren USA, um ab 2006 mit seiner neuen Firma Severin Films zu einer der wichtigsten Plattformen für Produktion und Dokumentation alternativer Filmgeschichte des Weltkinos, vor allem in den Bereichen Fantasy, Horror, Science-Fiction und Exploitation heranzureifen.
Lange Zeit übersehene Filmemacher wie Andy Milligan, Buddy Giovinazzo, Richard Stanley, Al Adamson oder Ray Dennis Steckler sind bei Severin mit aufwändig restaurierten Werkedition auf DVD und Blu-ray gewürdigt worden, und auch mittlerweile recht beliebte filmische Außenseiter wie Jess Franco, Lucio Fulci oder Umberto Lenzi wurde mit immer neuen Entdeckungen aus den Archiven gehuldigt. Als ein Markenzeichen der Firma kristallisierten sich die oft umfangreichen Bonusmaterialien heraus; in ihnen präsentierten sich in exklusiven Interviews die beteiligten Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Autor*innen, aber auch für Kamera, Schnitt, Produktion und vor allem für Spezialeffekte sowie Masken Verantwortliche.
Gregory selbst hat hunderte solcher Interviews und Kurzdokumentationen gedreht, nicht nur für seine eigene Firma, sondern auch für andere Labels wie Vinegar Syndrome oder Shout Factory in den USA, und Second Sight oder Arrow in England. Etliche seiner Dokus sind ebenso auf deutschsprachigen Editionen von Horrorfilmklassiker zu finden, wie beispielsweise auf Ausgaben des „Texas Chainsaw Massacre“ von Turbine Medien.
Ab und an geht sein Interesse über das Erstellen von reinem Bonusmaterial weit hinaus: so produzierte Gregory beispielsweise 2011 die Kurzfilmanthologie „Theater Bizarre“ unter Beteiligung von Richard Stanley, Buddy Giovinazzo, Douglas Buck, Jeremy Kasten, Tom Savini und Karim Hussein, die beim Filmfest Oldenburg zu sehen war, genauso wie die 2019 erschienene H.P. Lovecraft-Verfilmung „Die Farbe aus dem All“ von Richard Stanley mit Nicolas Cage in der Hauptrolle, für die Gregory ebenfalls als Produzent verantwortlich zeichnete.
Fast noch wichtiger für die Filmgeschichte sind aber seine drei fürs Kino produzierten langen Dokumentarfilme mit Sujets, die zu umfangreich oder zu bizarr waren, um sie im Extrateil einer Disc zu verstecken. In „Lost Soul: The Doomed Journey of Richard Stanley’s Island of Dr. Moreau“ erzählte er 2015 die abenteuerliche Geschichte einer grandios gescheiterten H.G. Wells-Verfilmung, und mit „Blood & Flesh: The Reel Life & Ghastly Death of Al Adamson“ setzte er einem amerikanischen Indie-Regisseur, dessen Ableben selbst genug Stoff für einen Horrorfilme geboten hätte, ein filmisches Denkmal.
Mit „Enter The Clones of Bruce“ folgt nun der dritte große Film, mit dem es ihm gelingt, sowohl das Interesse für vernachlässigte Aspekte der Filmgeschichte zu wecken, und dabei unterhaltsames Dokumentarfilm-Kino zu bieten, das die langjährigen Fans und Insider mit neuem Stoff versorgt, und gleichzeitig einem völlig ahnungslosen Publikum einen Einstieg in eine Art filmgeschichtliches Paralleluniversum bietet.