10 Tipps fürs Synästhesie Festival
Das Synästhesie Festival in Berlin ist ein noch recht junges Festival mit einem schillernden musikalischen Spektrum von Psychedelic Rock und Krautrock über Garagenrock und Postpunk bis hin zu Noise und elektronischer Musik. Synästhetisch veranlagte Menschen haben die Fähigkeit, verschiedene Sinneseindrücke zu verknüpfen oder diese gleichzeitig wahrzunehmen, so können sie beispielsweise manchmal Farben hören oder Töne sehen.
Ähnliche Effekte verspricht sich wohl auch das Team um Olli Remzi von der 8MM-Bar, welches schon seit 15 Jahren die Berliner Anlaufstelle für Psychrock- und Krautrockfans aus aller Welt und mittlerweile als Plattenlabel und eben Festivalveranstalter aktiv ist. Viele der eingeladenen Acts fungieren tatsächlich eher als Kollektiv denn als Einzelkünstler und sind durchaus an mit dem Publikum gemeinsam erlebter Ekstase, Trance und veränderter Wahrnehmung interessiert.
In den letzten Jahren gelang es dem Festival mit Shows von Michael Rother, Tangerine Dream oder Spiritualized zum Teil exklusive Auftritte zu veranstalten. Im fünften Jahr wird das wieder so sein (siehe etwas weiter unten). Rund 25 verschiedene Programmpunkte gibt es am 16. und 17. November in der Berliner Kulturbrauerei, zehn davon habe ich hier ganz subjektiv und musikalisch passend zu soundundvision für euch zusammengestellt. Das Festival hat aktuell nur noch knapp 100 Festivaltickets im Vorverkauf, da sollten Interessierte nicht mehr allzu lange zögern.
10000 Russos sind ein portugiesisches Trio aus der Stadt Porto an der Atlantikküste. Pünktlich zum Erscheinen ihrer neuen Platte „Kompromat“ auf dem Label mit dem passenden Namen Fuzz Club Records aus London kommen sie nach Berlin. Sie kombinieren den repetitiven Lärm der Velvet Underground mit singenden Stonerrock-Gitarren und der Krautmotorik von Bands wie Can oder Neu!. Der hypnotisch-rockende Sound erinnert durchaus an die frühen Sessions der Berliner Neo-Krautrocker Camera (die ebenfalls bereits Gäste des Festivals waren), nur das bei 10000 Russos zwischendurch gesungen wird. Der verzerrt-verhallte Gesang wird dabei oft wie ein viertes Instrument eingesetzt und fügt sich im Lauf der langen Jams nahtlos in den Hintergrund ein.
Sonntag, 17.11. 19:30h Maschinenhaus
Mit „Pinned“ erschien im April letzten Jahres das fünfte Album des Trios A Place To Bury Strangers aus New York. Die Gruppe um Gitarrist und Sänger Oliver Ackermann gilt als eine der lautesten Bands der Welt. Die Shows, die er in der aktuellen Besetzung mit Bassist Dion Lunadon und Schlagzeugerin Lia Simone Braswell auf die Bühne bringt, sind zudem schwer berechenbar. Bei einem Konzert im Tower Musikclub in Bremen vor einigen Jahren flogen Instrumente ins Publikum und die Hälfte der Show waren die drei Musiker damit befasst, Schlagzeug, Verstärker und Bühne zu Kleinholz zu verarbeiten. Feedback, Chaos, Improvisation und Lärm stehen bei APTBS im Vordergrund, ihre Mischung aus Noise, Punk, New Wave und Postrock erscheint auf Platte jedoch etwas gebremster und melodischer als während der Livegigs. Ackermann baut selbst Verzerrer und Gitarreneffektpedale und wird diese bei einem Showcase seiner Firma Death By Audio auch am Samstagnachmittag präsentieren, bevor APTBS dann Sonntagnacht das Festival beenden. Eine gute Wahl, denn danach wird von der Bühne nicht mehr viel übrig sein.
Samstag, 16.11. 17:00h Salon Oblique (Death By Audio)
Sonntag 17.11. 23:30h Kesselhaus (APTBS)
Das Kölner Quintett Holygram hat sich in den letzten Jahren bei Fans von Darkwave und Postpunk einen sehr guten Ruf erspielt. Sie tourten bereits mit Bands wie VNV Nation oder OMD und spielten auf so unterschiedlichen Festivals wie dem Maifield Derby in Mannheim oder dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig. 2016 erschien eine erste EP; Ende letzten Jahres kam dann das Debüt-Album „Modern Cults“ heraus. Eine sehr stimmige und geschlossen-düstere Pop-Platte mit hörbaren Einflüssen von Joy Divison, The Cure und den frühen Depeche Mode. Aufgenommen haben sie das Album in den Amen Studios in Köln und produziert wurde die Platte von Maurizio Baggio, der auch schon bei den letzten beiden Alben von The Soft Moon mit an den Reglern saß.
Sonntag, 17.11. 21:00h Maschinenhaus
Wer meiner Radiosendung und dieser Webseite schon etwas länger folgt, fragt sich vermutlich, warum ich Laura Carbone überhaupt noch als Tipp vorstelle. Schon ihre beiden beiden Alben „Sirens“ (2015) und „Empty Sea“ (2018) wurden von mir im Radio gespielt, beim Reeperbahn Festival im letzten Jahr habe ich zudem ausführlich mit ihr gesprochen. Trotzdem bin ich der Ansicht, dass die Sängerin aus Sinsheim und ehemalige Frontfrau von Deine Jugend immer noch nicht so bekannt und berühmt ist, wie sie es verdammt noch mal verdient hätte. Mit ihrer außergewöhnlich eindrucksvollen Liveband spielt sie seit rund zwei Jahren erfolgreich Konzerte im In- und Ausland und war unter anderem mit The Jesus And Mary Chain und INVSN auf Tour. Ihren Sound hat sie dabei von New Wave, Postpunk und Darkwave mittlerweile um Elemente aus Noiserock und Psychedelic Rock ergänzt. Ich freue mich darauf, die Band wieder live zu sehen.
Samstag, 16.11. 18:30h Kesselhaus
Der Gitarrist und Sänger Mdou Moctar aus Niger gehört zu einer Reihe von nordafrikanischen Rockmusikern, die dem Bereich des Desert Rock und des Tuareg Rock zugeordnet werden können. Bands wie Tinariwen und Imarhan erfreuen sich weltweit bei Indierockfans großer Beliebtheit und werden mittlerweile als Rockbands wahrgenommen und nicht mehr in die fragwürdige Schublade „Weltmusik“ einsortiert. Der hypnotische Sound aus der Sahara hat mit seiner tranceartigen Wirkung viel mit Krautrock gemein, wohl auch weil viele Musiker der 70er Jahre durchaus über Jazz und afrikanische Musik Bescheid wussten. Mdou Moctar macht schon seit rund 15 Jahren Musik und sein aktuelles Album „Ilana: The Creator“ ist Anfang des Jahres auf dem Label Sahel Sounds erschienen. Aufgenommen hat er es am Ende der letzten US-Tournee mit Toningenieur Chris Koltay (Akron/Family) in der Heimatstadt der Stooges, Detroit, und präsentiert darauf Desert Rock, Psychedelic Rock und traditionelle Sounds in mitreißend-magischer Kombination.
Samstag, 16.11. 20:00h Kesselhaus
Ohne die Musik des Hamburger Komponisten und Gitarristen Michael Rother würde es vermutlich weder irgendeine Band im Line-Up des Festivals geben, noch eine 8MM-Bar und vermutlich auch kein Synästhesie Festival. Zu groß ist der Einfluss den der Sound seiner Bands Neu! und Harmonia auf Punk, New Wave, Postpunk, Neo-Krautrock, Shoegaze und Indierock gleichermaßen gehabt hat. Rothers Musik war Inspiration für David Bowie und Brian Eno, er war in einer frühen Inkarnation von Kraftwerk mit dabei, und seine Platten mit Klaus Dinger, Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius wurden in den 90er Jahren vor allem in England kultisch verehrt, von niemand geringerem als unter anderem Julian Cope, Stereolab und Ride. So ist es also nur recht, dass er jetzt bereits zum zweiten mal einer der Headliner des Synästhesie Festivals ist. Seine Soloplatten standen lange im Schatten von Neu! und Harmonia, aber Anfang des Jahres erschien mit „Solo“ ein Boxset auf Grönland Records, welches alle Platten von 1977 bis 1982 enthält, plus Soundtrackarbeiten und unveröffentlichte Liveaufnahmen. Alben wie „Katzenmusik“ und „Sterntaler“ hatte er seiner Zeit im Duo mit dem Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit aufgenommen, wobei diese nichts von ihrer hypnotisch-melodischen instrumentalen Vielfalt und musikalischen Schönheit eingebüßt haben. Rother spielt Stücke von Neu!, Harmonia und seinen Soloalben.
Samstag, 16.11. 21:30h Kesselhaus
Das Synästhesie-Festival hat von Anfang an immer einen Platz für neue Bands und junge Projekte gehabt – da passen Perilymph perfekt ins Bild. Deren Gründer Fabien de Menou, französischer Wahlberliner, hat vor einigen Jahren angefangen, erste Songs zwischen Psychedelia, kosmischer Musik und Krautrock zu komponieren. Das erste Album „I“ erschien in Folge 2017 auf Kassette und digital. Mittlerweile sind Perilymph zu einer fünfköpfigen Rockband angewachsen und dabei auf den Spuren französischer Bands wie Magma oder Heldon in fast schon Progressive Rock-artige Gefilde vorgedrungen: sehr schön zu hören auf dem aktuellen Album „Deux“, das 26. April auf dem französischen Label Six Tonnes de Chair erschienen ist.
Samstag, 16.11. 19:00 Maschinenhaus
Die Berliner Sängerin Sofia Portanet ist vermutlich die Musikerin, die über den größten Pop-Appeal unter den Festivalgästen verfügt. Obwohl sie erst eine handvoll Singles veröffentlicht hat, wurde u.a. ihr Track „Planet Mars“ bei BBC 6 von Lauren Laverne gespielt. Das internationale Interesse befeuert überdies ihr Stilmix aus Postpunk, Pop und New Wave, der eine gewisse Nähe zu der oft als uncool wahrgenommen Neuen Deutschen Welle pflegt. Wie Falco oder Nena singt sie auf Deutsch wie auf Englisch und weckt zudem musikalische Assoziationen an den Pop-Punk von Blondie oder den Avantgarde-Rock einer Nina Hagen. Ich bin sehr gespannt.
Samstag, 16.11. 20:30h Kesselhaus
Die englisch-französische Avantgarde-Pop-Band Stereolab begann vor fast 30 Jahren ihren eigenwilligen Sound aus Indierock, Psychedelia, Krautrock, Shoegaze und Postrock zu kreieren. Das Quartett um den britischen Gitarristen Tim Gane und die französische Sängerin Lætitia Sadier schöpfte dabei aus der prallen Plattensammlung des Ersteren und dem French-Pop-Einfluß der Letzteren, um eine der innovativsten Bands im Großbritannien der 90er Jahre zu werden. Ähnlich wie die im Bereich des Shoegaze beheimateten Ride oder Slowdive, folgten Stereolab aber immer einem eher krautigen Pfad. Zehn Studioalben haben sie zwischen 1990 und 2010 herausgebracht – dann war erst mal Schluss und Sadier war danach vor allem mit ihrem Laetitia Sadier Source Ensemble unterwegs. Im letzten Jahr erschien eine Box, die drei Compilation-Alben mit frühen Stücken namens „Switched On Volumes 1–3“ enthielt, und es gab wieder erste Liveauftritte. In diesem Jahr folgte die Wiederveröffentlichung der sieben Studioalben von 1993 bis 2003 mit Bonustracks, Demos und alternativen Mixen als Doppel-CDs und Dreifach-Vinyl mit ausführlichen Linernotes. Jetzt bringt das Synästhesie-Festival Stereolab zurück nach Berlin, zum ersten und einzigen Deutschlandkonzert seit elf Jahren.
Samstag, 16.11. 23:00h Kesselhaus
Tengger sind ein Duo aus Seoul, das sich der minimalistisch-elektronischen Musik verschrieben hat. Itta und Marqido nennen ihren Sound selbst Psychedelic New Age Drone Magic und spielen mit Harmonium, Gesang und Spielzeuginstrumenten (Itta) und analogen Synthesizern (Marqido) einen hypnotischen Elektroniksound, der an Harmonia, Can, Cluster und sogar an Nico oder Klaus Schulze erinnert. Tengger ist das mongolische Wort für den sich unendlich ausdehnenden Himmel und das ungarische Wort für endloses Meer. Begriffe, die sich auch in den Songtiteln wie „High“ „Sea“ und „Wasserwellen“ durchaus widerspiegeln. Das aktuelle Album „Spiritual 2“ ist im Juni auf Beyond Beyond is Beyond Records erschienen.
Samstag, 16.11. 22:00h Salon Oblique